Klimawandel: Jahrringe belegen außergewöhnliche Lufttrockenheit  [27.12.23]

Die Luft in Europa war in den letzten 400 Jahren nie so trocken wie heute, zeigt eine Jahrringstudie unter Beteiligung der Uni Hohenheim. Das verschärft das Dürre-Risiko.

Die Atmosphäre in Europa ist in den letzten Dekaden durch Treibhausgas-Emissionen deutlich trockener geworden im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Dies zeigt eine von der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL geleitete Jahrringstudie. Das verschärft Dürren, erhöht die Waldbrandgefahr und ist sehr riskant für Wälder und Landwirtschaft. Ko-Autor der Studie ist Dr. Michael Friedrich von der Universität Hohenheim in Stuttgart.

Sauerstoff-Isotope in Jahrringen – wie im Symbolbild – geben Auskunft über Lufttrockenheit in der Vergangenheit. | Bildquelle: Juraj Lipták, München, M. Friedrich


Die untersuchten Jahrringdaten reichen zurück bis ins Jahr 1600. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist demnach die Luft über weiten Teilen Europas trockener geworden als im gesamten übrigen Zeitraum – und der Trend hält an. Angesichts der Dürreereignisse in vielen Regionen Europas in den letzten Jahren sei dies bedenklich, so Dr. Kerstin Treydte, Erstautorin der Studie in der Fachzeitschrift Nature Geoscience und Forscherin an der WSL.

Ein Maß für die Lufttrockenheit ist das Dampfdruckdefizit (Englisch: vapor pressure deficit, kurz VPD). Diese physikalische Größe beschreibt den Unterschied zwischen dem tatsächlichen und dem maximal möglichen Wassergehalt der Luft, also sozusagen den „Wasserdurst“ der Luft. Wasserdurstige Luft, also hohes VPD, zieht vermehrt Wasser aus dem Boden und aus Pflanzen, reduziert das Wachstum und kann sogar zum Absterben von Bäumen führen. Die ausgetrocknete Vegetation und die trockenen Böden erhöhen die Waldbrandgefahr. Zwar ist bekannt, dass VPD in einem sich erwärmenden Klima ansteigt. Über die räumliche Ausprägung und langfristige Schwankungen bis in vorindustrielle Zeit ohne menschlichen Einfluss wusste man bisher jedoch noch wenig.


Varianten von Atomen in Jahrringen

Dr. Treydte konnte erstmals Veränderungen im VPD großräumig in Europa über 400 Jahre rekonstruieren. Dafür stellte sie gemeinsam mit einem internationalen Team von 67 Forschenden Daten von Sauerstoff-Isotopen in Jahrringen aus ganz Europa zu einem großen Netzwerk zusammen. Isotope sind unterschiedlich schwere Varianten eines Atoms, die über das Wasser aufgenommen werden und deren Anteil im Jahrring schwankt (siehe Hintergrund). Die Schwankungen werden zum Großteil durch das VPD gesteuert. Daher geben Sauerstoff-Isotope in Jahrringen Auskunft über die Lufttrockenheit in der Vergangenheit.


Menschgemacht und am stärksten in Mitteleuropa

Anhand von zusätzlichen Modellsimulationen konnte die Autorenschaft die Erkenntnisse aus den Jahrringdaten unabhängig testen. Auch die Modelle kommen zum Ergebnis, dass die Lufttrockenheit im 21. Jahrhundert im Vergleich zur vorindustriellen Zeit außergewöhnlich hoch ist. Darüber hinaus zeigen sie, dass die heutigen VPD-Werte ohne Treibhausgas-Emissionen nicht hätten erreicht werden können. Der Einfluss des Menschen ist also offensichtlich.

Die Kombination aus Jahrringdaten, Modelsimulationen und direkten Messungen legt zudem regionale Unterschiede offen: In Nordeuropa hat der Wasserdurst der Luft im Vergleich zur vorindustriellen Zeit am wenigsten stark zugenommen, weil die Luft dort kühler ist und damit weniger Wasser aufnehmen kann im Vergleich zu südlicheren Regionen. In den zentraleuropäischen Tiefländern und in den Alpen und Pyrenäen hingegen ist der VPD-Anstieg besonders stark, mit höchsten Werten in den Dürrejahren 2003, 2015 und 2018.


Konsequenzen für Wälder und Landwirtschaft

Eine weitere Zunahme des VPD stellt längerfristig eine Bedrohung vieler lebenswichtiger Ökosystemfunktionen dar. „Für die Landwirtschaft hat VPD eine besonders große Bedeutung, denn je höher es ist, desto größer ist der Wasserbedarf der Nutzpflanzen. Mehr Bewässerung wird nötig und die Erträge sinken. Bei Wäldern sind Holzversorgung und Kohlenstoffbindung gefährdet, was zu Unsicherheiten hinsichtlich der Klimaregulierung und der zukünftigen Kohlenstoffspeicherung dieser Ökosysteme führt“, sagt Dr. Treydte.

Gerade in den dichtbesiedelten Regionen Europas sei das schon besorgniserregend und zeige die Dringlichkeit der Emissionsreduzierung und Wichtigkeit der Anpassung an den Klimawandel. „Unsere Erkenntnisse werden dabei helfen, Simulationen künftiger Klimaszenarien zu präzisieren und die potenzielle Bedrohung durch hohes VPD für Ökosysteme, Wirtschaft und Gesellschaft abzuschätzen“, so Dr. Treydte.


HINTERGRUND: Sauerstoff-Isotope in Jahrringen berichten vom vergangenen Klima

Isotope sind unterschiedlich schwere Varianten von Atomen, die in der Natur vorkommen. Wasser beispielsweise enthält leichte und schwere Varianten von Sauerstoff-Atomen. Bäume nehmen es über die Wurzeln auf, geben einen Teil davon über die Blätter wieder an die Luft ab und nutzen den übrigen Teil zum Aufbau neuer Zellen, z.B. im Holz. Das Verhältnis von leichten und schweren Isotopen ändert sich während der Verdunstung aus dem Boden, durch die Blätter und während des Holzaufbaus. Diese Änderungen werden zum Großteil durch das VPD gesteuert. So berichten Jahrringe etwas über die vergangene und heutige Lufttrockenheit.

Publikation: https://www.nature.com/articles/s41561-023-01335-8

Text: Beate Kittl & Kerstin Treydte, Eidg. Forschungsanstalt WSL / Elsner

Kontakt für Medien:

Dr. Michael Friedrich, Universität Hohenheim, Hohenheimer Gärten
T +49 711 459 23372, E michael.friedrich@uni-hohenheim.de


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